November 23, 2020

Der Zufall als Spielleiter

Seit den frühen Tagen des Hobbys spielen Zufallstabellen eine große Rolle. Sie inspirieren den Spielleiter und nehmen ihm Arbeit ab. Ein Würfelwurf und der SL weiß, welche Gegenstände der Dieb in der Tasche seines Opfers findet, welcher magische Gegenstand in der Truhe verschlossen ist oder welche Gegner im Dungeon auf die Spieler lauern.

Zufallstabellen sind aber noch viel mehr. 

Wird etwa das Verhalten von NSC mit einer Zufallstabelle verknüpft, trägt sie zur Charakterisierung der Figuren bei. 

In unserem neuen Abenteuer „Der Heilige von Bruckstadt“ (Erscheinungstermin voraussichtlich Ende Dezember 2020) treffen die Spieler in einem ruinierten Haus auf die Wachen Nagl und Urm. Eine Tabelle gibt Auskunft, was die beiden gerade tun.

1: Nagl rasiert sich den Bart vor einem Handspiegel, den er am Kaminsims aufgestellt hat. Urm ölt seine Arkebuse.

2: Essen Eintopf aus Holznäpfen: Sprechen in gedämpfter Stimme über die Eule ihrer Anführerin, von der sie glauben, das der Vogel ein verzauberter Liebhaber ist.

3: Würfeln um ihren kürzlich ausbezahlten Sold.

4-5: Heftiger Streit, weil Nagl entdeckt hat, dass Urm mit gezinkten Würfeln spielt.

6: Nagl wäscht sein blutfleckiges Hemd in einem Holzbottich. Urm liegt mit Bauchstich blutend am Lager.

Unabhängig vom erwürfelten Ereignis, erhält der Spielleiter aus der Tabelle Informationen über Nagl und Urm: Die beiden sind Spieler, bereit ihren hart verdienten Sold in die Waagschale des Glücks zu werfen. Urm ist zudem ein Betrüger, Nagl gewalttätig. Beide haben offenbar Respekt vor einer Frau namens Suula, der sie magisches Wissen unterstellen.

Unabhängig von der erwürfelten Szene kann der SL dieses Hintergrundwissen nutzen, um die Wachen und ihr Verhalten lebhaft zu beschreiben.


Rulings over Rules

Wie immer bei Zufallstabellen handelt es sich zunächst nur um Vorschläge. Der SL kann auf das Würfeln verzichten und sich statt dessen bewusst für eine der 5 Szenen entscheiden oder die Tabelle völlig ignorieren, wenn ihm mögliche Ergebnisse nicht in die Spielsituation zu passen scheinen. Wie in der Tradition der OSR üblich, gilt auch hier: Rulings over Rules.


Wie James Maliszewski auf seinem Blog Grognardia ausführt, gab es Tabellen für das Verhalten von NSC bereits in der ersten Ausgabe von Dungeons & Dragons (1974). Der dritte Band der Regeln (The 
Underworld & Wilderness Adventures) enthält die Tabelle „Random Actions by Monsters“. Ein W12 bestimmt, ob das Monster sich aggressiv, neutral oder friedlich gegenüber den SC verhält.

Im von Tom Moldvay editierten D&D Regelwerk von 1981 gibt es eine Tabelle „Retainer Reactions“. Hier bestimmt der W12, ob ein anzuheuernder Mietling auf das Angebot der SC eingeht. Wobei ein besonders gutes Angebot oder ein hoher Charisma-Wert einen Würfelbonus bringt.

Die Zufallstabelle lässt sich also zu Gunsten der SC beeinflussen.

Von Nutzen sind Zufallstabellen auch, wenn es darum geht, einen Dungeon aufzustocken, nachdem die SC aus einer Ruhephase zurückkehren.





Vor allem bei einem Mega-Dungeon, den die Spieler dutzende Male verlassen, um zu heilen und Ausrüstung aufzustocken, helfen Tabellen den Dungeon lebendig zu halten. Prominent umgesetzt hat das Greg Gillespie in seinem Mega-Dungeon Barrowmaze: Eine Zufallstabelle bestimmt, ob in einen bereits erforschten Raum neue Monster eingezogen sind.

Andere Dungeon-Abenteuer gehen noch weiter und ermitteln per Zufallstabellen, ob ein bisher unentdecktes Gewölbe in der Zwischenzeit von konkurrierenden Grabräubern geplündert wurde.

Zufallstabellen haben daher das Potenzial, nicht nur für die Spieler, sondern auch für den SL, den Spielverlauf ein Stück weit mehr unvorhersehbar zu machen, als es ein Rollenspiel sowieso schon ist. 

Natürlich sind dem auch Grenzen gesetzt. Wenn alles eine Frage des Zufalls ist, verliert das Spiel für die Spieler an Planbarkeit, was frustrieren kann und die Welt unsinnig erscheinen lässt.

Klug eingesetzt, können Tabellen dem SL ein Stück weit die Zügel aus der Hand nehmen und für erfrischende Wendungen sorgen.

2 Kommentare:

  1. danke, für den Artikel, arbeite mich gerade durch die OSR bzw. Red Box, wo diese netten kleinen Tabellen enthalten sind. Um auf ein aktuelles Rollenspiel aufmerksam zumachen; Der Schatten des Dämonenfürst, hat viele Zufallstabellen bei der Chraktererschaffung, und es ist jedesmal ein Vergnügen zu sehen was für ein interessanter Charakter dabei rauskommt (Persönlichkeit, Aussehen, Motivationen, Hintergrund).

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    1. Schatten des Dämonenfürsten klingt spannend, zumal das Regelwerk mit 32 Seiten offenbar kurz gehalten ist.
      Ich nehme mir zz die älteren D&D-Regelwerke vor; Holmes und Moldvays Basic Rules und demnächst auch die 1. Version von AD&D. Entsprechende Postings demnächst.

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