Dezember 29, 2020

Der Kartograf

Das Zeichnen von Karten war in den Mega-Dungeons von D&D und AD&D eine der wichtigsten Spielerrollen. Heute wird an vielen Spieltischen ganz darauf verzichtet. Einfache Dungeons, vorgefertigte Karten und diverse Online-Tools ersetzen kariertes Papier und Bleistift. 

Doch ist das Kartenzeichnen tatsächlich eine mühsame und daher weitgehend ausgesetzte Aufgabe aus den frühen D&D Tagen, oder kann es das Spiel bereichern?


Die erste Beschreibung der Spielerrolle Kartograf (Mapper) findet sich in den Basic Rules von Eric Holmes. In der 2. Auflage von 1978 steht auf Seite 39 zu lesen:



Doch der Kartograf war nicht nur Spieler-, sondern immer auch Charakterrolle. Holmes empfiehlt, dass der Mapper, gemeinsam mit dem Caller, die Gruppe im Dungeon anführen sollte. Und Tom Moldvay weist im Basic Rulebook 1981 darauf hin, dass Zeichnen nicht möglich sei, wenn die Figur des Kartografen sich (auf der Flucht) laufend durch den Dungeon bewegt.

Das bedeutet, die vom Spieler angefertigte Karte war gleichzeitig ein in-game Artefakt. Stürzte der Kartograf in ein bodenloses Loch, oder verglühte die Karte in einem Feuerball, kassierte der SL die Kartenskizze ein und die Spieler mussten eine neue Karte zeichnen.


Kartenzeichnen (nicht) leicht gemacht

In den Mega-Dungeons von D&D war das Zeichnen von Karten eine Herausforderung, die die Spieler meistern mussten, um in den Labyrinthen nicht verloren zu gehen. Die Dungeons waren chaotisch mit seltsam geformten Räumen, diagonalen Tunneln, Auf- und Abgängen, die Ebenen überspringen, und zahlreichen Teleportern.

In der ersten Ausgabe des D&D Regelwerkes von 1974, Band 3, "The Underworld and Wilderness Adventures", gibt Gary Gygax Tipps für den Aufbau eines Dungeons. Er empfiehlt, die Karten möglichst kompliziert zu gestalten, um dem Kartografen die Arbeit zu erschweren. In der Legende zu einem Beispiel-Dungeon vermerkt er unter Punkt 3:


Und unter Punkt 7:



Damit nicht genug, empfiehlt Gygax im selben Band unter "Maintaining Freshness" den Dungeon nach jedem Besuch zu verändern:


Intellektuelle Bezwingung des Dungeons

Komplizierte, weit verzweigte Dungeons, die sich im Laufe der Zeit auch noch verändern, können das Leben des Kartenzeichners ordentlich erschweren. Viele Spielergruppen ersparen sich daher heute das Kartenzeichnen. Entweder, indem die SL den Spielern die Karte des Areals (analog oder digital) Schritt für Schritt aufdecken, oder ihnen eine vorgefertigte Karte des gesamten Areals vorlegen.

Das erspart viel Arbeit, Fehler sind weitgehend ausgeschlossen. Der Dungeon erscheint den Spielern so, wie vom SL entworfen. 

Man könnte allerdings sagen, dass mit der Erleichterung auch ein Stück weit Expeditionsfeeling verloren geht. Es fällt die intellektuelle Bezwingung des Dungeons weg, wie The Angry GM es nennt. Denn neben dem offensichtlichen Gewinn für die Spieler, zu wissen, wo im Raum sie sich befinden, verdeutlichen sie durch das Zeichnen der Karte den Fortschritt ihrer Expedition. Ein Fortschritt, der nicht vom SL vorgelegt wird, sondern den sie sich selbst erarbeiten. Manche mechanischen Herausforderungen wie Teleporter, welche die SC unbemerkt in  einen ganz anderen Teil des Dungeons beamen, verlieren ihre Wirkung bei vorgefertigten Karten. Nicht zuletzt bereichert die auf einer selbstgezeichneten Karte basierende Orientierung den Dungeon um eine weitere Herausforderung. Der Erfolg einer Expedition stand und fiel mit der Qualität der Karte.

Wie genau muss die Karte sein?

Damit das Zeichnen der Karte nicht mühsam wird, ist es wichtig, sie einfach zu halten. Nicht jedes Detail muss abgebildet werden und auch die Maße der Räume müssen nicht maßstabsgetreu sein.

In Moldvays Basic Rulebook von 1981 erläutert der Autor die Aufgabe des Kartografen:



Der Mapper sollte demnach Wert legen auf die Ausrichtung der Räume und Korridore, ihre Form und ungefähren Maße. Aber es geht noch einfacher. Als mögliches Vorbild können sogenannte Flussdiagramme dienen. Dabei ist das Ziel nicht ein möglichst genaues Abbild der Karte, wie der SL sie entworfen hat. Im Vordergrund steht dabei viel mehr, die Verbindungen zwischen den Räumen zu beschreiben.

Ein Kästchen stellt einen Raum dar, ein Strich zwischen zwei Kästchen den Korridor, der sie verbindet. Ob dieser Korridor geradlinig oder geschwungen verläuft, ist nebensächlich. Ebenso sind die genauen Maße des Raumes für die Skizze nicht relevant. Gibt es im Raum Besonderheiten, können diese durch kurze Notizen oder Symbole markiert werden.

Wichtig für die Spieler ist zu verstehen, in welchem Teil des Dungeons sie sich gerade aufhalten, wo der blaue Altar oder die seltsame grüne Statue sich befinden und wie sie am schnellsten Weg zum Ausgang zurückkommen.

Eine Dungeon-Expedition lebt zum wesentlichen Teil von Buchhaltung, einkaufen von Ausrüstung und dem Verbrauch der selben. Das Zeichnen der Karte durch die Spieler kann das Expeditionsfeeling um ein weiteres Element bereichern. Gruppen, die dieser Art des Dungeon-Crawlings etwas abgewinnen können, sollten dem Kartografen eine Chance geben.




2 Kommentare:

  1. haben grade mit der Rote Box aus 1981 gestartet, war am anfang überfordert mit dem soloabenteuer wo man eine karte mitzeichnet. Aber jetzt haben wir das Abenteuer aus der Box gestartet und bisweilen läuft es einigermaßen, online zu spielen macht die sache nicht einfacher, und der SL hat einige mal was anmerken müssen, ist die erste erfahrung mit kartenzeichnen nach gut 20 Jahren RPG, also ich find es spannend. Vielen Dank für diene tollen Beiträge, gern mehr! lg martin

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  2. Ja, Karten zu zeichnen erfordert erstmal Übung, aber insgesamt gewinnt das Spiel. Corona-bedingt spielen wir jetzt online über Roll20. Dabei kann der SL die Karte des Dungeons für die Spieler Schritt für Schritt aufdecken (Fog of War). Das ist sehr praktisch, macht die Erkundung des Dungeons für die Spieler aber auch einfacher (was nicht immer ein Vorteil sein muss).

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