Juli 30, 2021

Der Tempel des Frosches

„Tief in den urzeitlichen Sümpfen des Düster-Sees, verhüllt von ewigem Nebel, liegt die Stadt der Brüder des Sumpfes.“

Mit dieser Zeile beginnt das erste, jemals von TSR publizierte Abenteuer „Tempel des Frosches" (Temple of the Frog). Das 20-seitige Szenario war Teil des zweiten Ergänzungsbandes zum D&D-Regelwerk: Blackmoor. Der von Dave Arneson verfasste Text erschien 1975.






Worum geht’s?


Die sogenannten Brüder des Sumpfes sind eine Vereinigung von Mönchen unter Führung eines Priesters, die ein radikales Ziel verfolgen: Da sie erkannt haben, welche Gefahr vom Mensch für alles Leben auf der Erde ausgeht, beschlossen sie, das Ende der menschlichen Spezies herbeizuführen. In den Kellern ihres Tempels züchten sie daher Killer-Frösche: „... einen halben Meter lang, mit Rasiermesser-scharfen Zähnen und Krallen, um jedes Opfer, das sie auf Befehl hin angreifen, zu zerfleischen.“

Konsequent zu Ende gedacht, müssten die Mönche sich irgendwann selbst den Fröschen zum Fraß vorwerfen. Ob sich die Gemeinschaft dessen bewusst ist, wird im Text nicht weiter ausgeführt. Zu fragen wäre außerdem, ob diese Killer-Frösche, nachdem sie die Menschheit ausgerottet haben, auch alle anderen Lebewesen auffressen werden und die Menschheit, in Gestalt der Mönche, erst recht dafür verantwortlich wäre, alles Leben auf der Erde ausgelöscht zu haben (denn spätestens wenn sie nichts mehr zu fressen haben, sterben auch die Killer-Frösche).

Doch für philosophische Überlegungen dieser Art bleibt keine Zeit. Wegen Spannungen innerhalb der Bruderschaft und einer handvoll Banditen, die eigene Interessen verfolgen, gerät der Plan, die Welt zu retten, ins Hintertreffen. Bis zu dem Tag, an dem ein ominöser Fremder namens Stephan der Stein (Stephen the Rock) auftritt. Durch List und Gewalt wird er zum neuen Hohepriester, zähmt die Banditen und lässt den Tempel zu einer Festung ausbauen. 

Besuch aus dem Weltall


Auf diese zweiseitige Einführung folgt die Beschreibung des Tempels, der Wehranlagen und der Keller, die durch insgesamt sechs handgezeichnete Karten der Anlage veranschaulicht wird.

Dem Leser des Textes wird rasch klar, dass der Tempel ausgesprochen gut bewacht ist. Wehrmauer, Türme, ein Graben, Zugbrücke, Eisentore, Katapulte, Speerschleudern und Patrouillen bei Tag und Nacht - Die Tempelfestung kann dem Angriff einer kleinen Armee durchaus standhalten.

Der Tempel und seine Räume sind detailliert beschrieben, tiefgehende Beschreibungen der Figuren (Motive, Ziele, Aussehen) sucht man jedoch vergebens. Selbst vom Hohepriester, Stephan der Stein, erfahren wir nur, dass er eine besondere Rüstung trägt, magische Waffen führt und eine fliegende Erste-Hilfe-Apparatur inklusive Kommunikationsanlage besitzt, über die er mit einer, um die Erde kreisenden Satelliten-Station in Verbindung steht. 

Ja, eine Satelliten-Station. Denn, wie wir erfahren: „[Stephan der Stein] ... ist nicht aus der Welt von Blackmoor, sondern ein intelligenter Humanoid von einer anderen Welt/einer anderen Dimension.“

Darüber hinaus bleibt der Außerirdische aber blass. Wir es aussieht, wie er sich gegenüber seinen Untergebenen verhält, wie ein Gespräch mit ihm verlaufen könnte, erfahren wir nicht. Nur, dass er sich in der Rolle des Hohepriesters und Herrschers gefällt.

Ein Himmelfahrtskommando?


Die Beschreibung des Tempels gibt einen vorwiegend strategisch/taktischen Blick auf die Anlage; Wie dick sind die Mauern, wie stabil die Tore und Türen? Wo sind Wachen aufgestellt und woher kommt gegebenenfalls Verstärkung? 

Die Leser erfahren, dass die Anlage von einer überwältigenden Menge an Feinden bewacht wird: Neben Ordensbrüdern und Banditen treffen die Spieler auf Riesenschlangen und -Ratten, Trolle, Ghoule, Medusen und Froschmenschen. Im Graben um den Tempel und im Zuchtteich lauern 1.200 Killer-Frösche. Auf der Wehrmauern patrouillieren zu jeder Zeit 150 Wachen. Im ersten Kellerstockwerk unterhalb des Tempels sind weitere 1.000 Wachen bereit, um bei einem möglichen Angriff einzugreifen. 

Liest man diese Beschreibung, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich hierbei um ein Szenario für ein Strategiespiel handelt, mit der Mission, einen befestigten Tempel zu erstürmen. Eine Spielergruppe von vier bis sechs Charakteren, wie sie heute üblich sind, wird dazu allerdings nicht ausreichen. 

Massenkampf mit Chainmail


Die Sache wird rasch klarer, hält man sich vor Augen, dass die Spielrunden der 70er Jahre aus 50 und mehr Spielern bestehen konnten. Hatten deren Charaktere zusätzlich Gefolgsleute und Mietlinge bei sich, konnten sie es mit dem kleinen Heer, das den Tempel bewacht, durchaus aufnehmen.

Zur Größe von Spielgruppen steht im ersten Band des D&D Regelwerks von 1974 folgendes zu lesen:

"Anzahl der Spieler: Mindestens ein Spielleiter (referee) und zwischen vier und fünfzig Spieler sind für eine einzelne Kampagne vorgesehen, wobei das Verhältnis von Spielleitern zu Spielern bei etwa 1:20 liegen sollte."

Es ist bekannt, dass Gary Gygax mehrere Spielergruppen an der selben Kampagne teilnehmen ließ, die dann, an unterschiedlichen Wochentagen, das Spielgeschehen vorantrieben. So war es denkbar, dass eine Spielergruppe am Dienstag einen Wachturm einnahm über den am Mittwoch eine zweite Gruppe tiefer in die Tempelfestung vordringen konnte.

Aber auch bei zwanzig Spielern, deren Charaktere alle ihr eigenes Gefolge hatten, konnte die Gruppe durchaus auf die erforderliche Kampfstärke kommen, um es mit den Verteidigern des Tempels aufzunehmen. 

Zur Frage, wie der Spielleiter mit den für heutige Zeiten unmöglich groß erscheinenden Spielergruppen umging, habe ich hier etwas gepostet. Daher möchte ich an dieser Stelle nur in aller Kürze auf die Spielerrolle des Callers eingehen, wie es sie ihn frühen D&D-Zeiten gab. Dieser "Rufer" hatte die Aufgabe, die zuvor von der Spielergruppe gefassten Pläne an den Spielleiter zu kommunizieren. Der SL musste daher nicht jeden einzelnen Spieler befragen (was tust du?), sondern hörte nur auf den Caller, was das Spiel in großen Runden deutlich beschleunigte.

Noch klarer wird es, wenn man davon ausgeht, dass Arneson beim Schreiben des Abenteuers die Regeln für den Massenkampf im Auge hatte, wie sie beim Chainmail-Regelwerk bechrieben sind. Die erste Ausgabe "Chainmail: Rules for Medieval Miniatures" wurde 1971 von Guidon Games publiziert. TSR kaufte später die Rechte auf und publizierte das Regelwerk 1975 - im selben Jahr, in dem "Tempel des Frosches" erschien.

1986 gab TSR eine stark überarbeitete Version des Abenteuers heraus. Von den ursprünglich 20 auf 48 Seiten erweitert, war es ein eigenständiges Abenteuermodul. 

Übrigens: Das erste Rollenspiel-Abenteuer, das nicht als Beilage, wie "Tempel des Frosches", sondern als eigenständige Publikation erschien, war "Palace of the Vampire Queen". Es wurde 1976 von Wee Warriors als nicht-lizensiertes D&D-Produkt publiziert. Das erste offizielle, eigenständige TSR-Abenteuermodul erschien zwei Jahre später unter dem Titel "Steading of the Hill Giant Chief".

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